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Montag, 5. Februar 2018

"Ein Sohn der Erde / Schein ich: zu lieben gemacht, zu leiden." - Hölderlins Ode "Die Heimat"

Froh kehrt der Schiffer heim an den stillen Strom,
..Von Inseln fernher, wenn er geerntet hat;
....So kam auch ich zur Heimat, hätt ich
......Güter so viele, wie Leid, geerntet.
Ihr teuern Ufer, die mich erzogen einst,
..Stillt ihr der Liebe Leiden, versprecht ihr mir,
....Ihr Wälder meiner Jugend, wenn ich
......Komme, die Ruhe noch einmal wieder?
Am kühlen Bache, wo ich der Wellen Spiel,
..Am Strome, wo ich gleiten die Schiffe sah,
....Dort bin ich bald; euch, traute Berge,
......Die mich behüteten einst, der Heimat
Verehrte sichre Grenzen, der Mutter Haus
..Und liebender Geschwister Umarmungen
....Begrüß ich bald und ihr umschließt mich,
......Daß, wie in Banden, das Herz mir heile,
Ihr Treugebliebnen! aber ich weiß, ich weiß,
..Der Liebe Leid, dies heilet so bald mir nicht,
....Dies singt kein Wiegensang, den tröstend
......Sterbliche singen, mir aus dem Busen.
Denn sie, die uns das himmlische Feuer leihn,
..Die Götter schenken heiliges Leid uns auch,
....Drum bleibe dies. Ein Sohn der Erde
......Schein ich; zu lieben gemacht, zu leiden.
 
In der Hoffnung auf Stillung von Liebesleid, in der Hoffnung, Ruhe zu finden, kehrt der Schiffer, der auf den Wassern des Lebens treibende Dichter heim zu den trauten Bergen seiner Jugend, dem mütterlichen Haus. 


Unglaublich, wie persönlich er die teuern Ufer, die trauten Berge und die Wälder seiner Jugend anspricht, als wisse er gewiss, dass sie sich seiner erinnerten. Ja, er weiß, dass sie ihm treu blieben.

Die Grenzen heimatlicher Gefilde sind die Grenzen seiner Jugend und er ist sich sicher, dass auch nach womöglich langer Abwesenheit es innerhalb dieser Grenzen möglich ist, dass sein Herz Heilung finde, dass es zur Ruhe komme.

Doch weiß er genauso - und nicht von  ungefähr wiederholt der Heimkehrende dieses Verb zweimal, den Satz mit einem so deutlichen "aber" einleitend -, dass die Götter das Leid dem Menschen mit auf den Weg gaben, damit er an diesem wachse, um zu werden, was Hölderlin in anderen Gedichten angesprochen hat!
Diese Strophe entfaltet die ganze Dichtkunst Hölderlins: Es ist nicht nur das wiederaufgenommene "ich weiß", es ist die das Liebesleid so verstärkende L-Alliteration, das anaphorisch aufgenommene "Dies", das in drei Wörtern hervorgehobene, doch in sein Gegenteil verkehrte Singen, das nachgestellte "mir aus dem Busen" als dem Ort, wo jenes vermisst wird.

Doch weiß er dieses Leid zu schätzen. Er nennt es heilig, bezeichnet es als Geschenk.
Welche Größe zeigt sich hier! 
Welches Bewusstsein.

Er stellt sich in die Tradition des Prometheus, der auserwählt war, den Menschen das Feuer bringen zu dürfen.
Goethe lässt den Titanen in seiner Hymne noch sehr trotzig sein. Hölderlin nimmt nicht von  ungefähr den Tonfall, ja die Wortwahl des großen Alten aus Weimar auf, der, als er sein Gedicht schrieb, noch Anfang zwanzig war.

Aber er verwandelt die Worte. Als Sohn der Erde ist der Dichter, ist Hölderlin mit den Göttern, mit dem Leid versöhnt. Das ist neu und ganz anders als bei Goethe.

Vielleicht kann man so nur in der Heimat schreiben.
In der Heimat sein heißt ja auch: in sich angekommen. 
Auch wenn Hölderlin sich bald darauf fast für immer verließ:
Immer wieder ist jeder auch ganz bei sich. Eben, wenn er in der Heimat ist.

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