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Dienstag, 29. August 2017

Pflegestandort Deutschland. Kein Pflege- ein Sanierungsfall.

Man mag den Enthüllungsjournalismus à la Wallraff und seinem Team im Dienste RTLs nicht unberechtigt skeptisch gegenüberstehen. Fakt aber ist, dass das, was der Mann ans Licht der Öffentlichkeit bringt, einen, mehr als einem lieb ist, mitnimmt. Mir jedenfalls erging es so mit der gestrigen Nachrecherche in Sachen Pflegeheimen. Sterben darf man dort nicht, denn als Pflegefall bringt man Geld; aber leben darf man auch nicht. 
Das mag nicht für alle Einrichtungen zutreffen, aber die Bilder, die zu sehen und die Worte, die zu hören waren über den Umgang mit Pflegebedürftigen („im Intimbereich mal drüberfahren, damit es nicht nach Urin stinkt“), insbesondere mit einer Achtzigjährigen, die dreimal innerhalb kurzer Zeit Durchfall hatte und mit der eine alleingelassene Praktikantin nur menschenunwürdig umgehen konnte, obwohl sie sich alle Mühe gab, der Situation gerecht zu werden, weil es nicht einmal genug Handtücher gab und nur ein verrosteter Toilettenstuhl zur Verfügung stand, um die alte Frau, die noch bei klarem Verstand war, nur notdürftig bekleidet über den öffentlichen Bereich der Pflegeeinrichtung ins Bad zu schieben (im Zimmer gab es eine entsprechende Reinigungsmöglichkeit nicht), erschüttern. WELT/N24 berichtet heute darüber.

Mittlerweile scheinen die Zustände, die von Wallraff zum ersten Mal 2014 aufgezeigt worden waren, tatsächlich bis zum Lageso vorgedrungen zu sein und man hat eine Untersuchung eingeleitet.

Eine Untersuchung eingeleitet?

Man weiß, was das nicht nur in Berlin, aber insbesondere dort, heißt.

Den politisch Verantwortlichen tut es nicht weh, wenn tagtäglich Menschen entwürdigt werden.

Müsste dieses Haus der MK-Kliniken nicht schon längst unter staatliche Aufsicht gestellt sein? - Mein Eindruck ist, es dürfte gar nicht mehr für Menschen zuständig sein.
Übrigens betrug der Bilanzgewinn der MK-Kliniken AG, (vormals: Marseille-Kliniken Aktiengesellschaft), Berlin, 2015/2016 satte 13.896.159,80 Euro. Kein Wunder, dass es da für ein paar Handtücher mehr und intakte Toilettenstühle nicht gereicht hat.

Jeder ahnt und weiß es im Grunde, dass das kein Einzelfall ist. Dass die Pflegekräfte in aller Regel angesichts der aufreibenden Arbeit chronisch unterbezahlt sind und sich deshalb auch kein qualifiziertes Personal findet. Dass die Häuser chronisch unterbesetzt sind, damit die Betreiber Kasse machen (so ist das, wenn man solche Einrichtungen meint, privatisieren zu müssen). Dass es ein Lebensende in Würde dort oftmals nicht gibt, wobei bedauerlich ist, dass Häuser, die gut geführt sind, in den Sumpf derjenigen, die geschlossen werden oder zumindest unter ständige staatliche Kontrolle gestellt werden müssten, gezogen werden.

Wie in unserer Gesellschaft Kasse auf Kosten von Menschen und ihrer Würde gemacht wird, ist beschämend. Beschämend, dass der Gesetzgeber und entsprechende Behörden eingreifen müssten. Beschämend, dass beide das in aller Regel nicht tun.

Krankenhäuser kümmern sich, wenn sie Patienten entlassen, denen zu Hause keine Pflege zuteil werden kann, um eine ambulante Betreuung oder ggf. um eine Versorgung in einem Heim. Krankenschwestern allerdings berichten, dass entlassene Patienten immer wieder innerhalb relativ kurzer Zeit aus Pflegehäusern erneut eingeliefert werden, dehydriert und in einem erheblich schlechteren Pflegezustand als bei der Entlassung. Und sie kommen aus Einrichtungen, die genau darauf achten müssten. Das muss man nicht kommentieren.

Bedauerlich ist, dass es in diesem Land so viele Missstände gibt, die nicht angegangen werden. Nur gibt es eben einen Unterschied zwischen auf fahrlässig verzögerte Weise nicht sanierten Straßen, Brücken, Bildungseinrichtungen und alternden Menschen - der scheint allerdings bis zu dem sanierungsbedürftigen Bewusstsein unserer Politiker noch nicht vorgedrungen zu sein. Vielleicht war das vor dem Zeitalter Merkel nicht der Fall. 

Aber wer erinnert sich noch an Zeiten, wo Probleme in diesem Land wirklich angegangen wurden. Gar vorausschauend. 

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