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Sonntag, 5. März 2017

Der zunehmende Verlust tiefer Religiosität und ihr meist bestens getarnter Zusammenhang mit dem Mangel, dankbar zu sein.

Als tiefe Religiosität bezeichne ich eine Sehnsucht der Seele und ihr Streben, das darum weiß, dass der Mensch, um es mit der jüdischen Kabbala auszudrücken, nach Kether, nach der Krone strebt, aber noch mehr oder weniger weit davon entfernt ist. 
Nachdem das Konzil zu Konstantinopel 553 unter Kaiser Justinian I. diejenigen, die weiterhin - so der Wortlaut - an eine fabelhafte Präexistenz der Seele glaubten (und damit meist auch an Reinkarnation), verflucht hatte, blieb es vor allem dem Buddhismus vorbehalten, diesen Gedanken weltweit wachzuhalten, der allerdings auch im mitteleuropäischen Raum nie wirklich ausgerottet werden konnte; Rosenkreuzer, Freimaurer, Goethe, Christian Morgenstern, Wilhelm Busch  und viele andere blieben diesem Denken verpflichtet.

Reinkarnation legt nahe, dass der Weg der Seele - im Sinne Buddhas - über tausende von Inkarnationen geht, entwickelt sich doch die menschliche Seele durch viele Weltzeitalter; Ziel ist es, selbst zum Buddha zu werden - keineswegs ist also das Rad der Wiedergeburten ein endloser Kreislauf. 

Es ist ein weiterer von der Kirche verbreiteter fataler Irrglaube, dass die sieben Schöpfungstage sich auf den Anfang menschlichen Seins beziehen. Vielmehr ist es so, dass der Mensch in seiner Entwicklung erst am siebten Schöpfungstag vollendet ist, dass aber die gesamte Entwicklung unter göttlicher Hut geschieht ("und Gott sah, dass es gut war"), wenn es auch der Mensch weidlich ausnutzt, dass er immer  zu freien Entscheidungen in der Lage ist. 
Unter anderem auch Hildegard von Bingen verweist darauf, dass der Mensch inmitten des Schöpfungsprozesses sich befindet.

Es soll hier nicht um die Rolle des Bösen gehen, das bekanntlich auch sein Gutes hat, was aber - in den letzten Monaten mehr denn je, wenn man den IS sieht oder was sich in den USA abspielt, wo Verlogenheit fröhliche Urstände feiert - momentan schwerfällt  zu glauben. Eines der eindrücklichsten Beispiele für die Rolle des Bösen im Entwicklungsprozess hat Goethe mit seinem Faust niedergeschrieben.

Es geht mir hier um eine bestimmte Strategie des Bösen.

Eine ist bekanntlich die, der auch Faust anheimfällt, sich für Gott zu halten. Das endet im Faust I mit vier Toten (der zum Tode verurteilten Margarethe, ihrem von ihr getöteten Kind, ihrem von Faust und Mephisto getöteten Bruder und ihrer "aus Versehen" vergifteten Mutter). Ich würde nicht viel darauf geben, wenn Menschen behaupten, sie wollten sich nicht für Gott halten. Oft geben sich solche Menschen atheistisch, um es unverhohlener tun zu können (wenn es keinen Gott gibt, kann man sich angeblich nicht für ihn halten).

Eine Strategie, um die es mir hier geht, ist, sich unwissend zu stellen, wenn es gälte, dankbar zu sein.

Dankbarkeit aber ist Voraussetzung für eine ehrliche Religiosität.

Anlässlich einer Konstitutionsbehandlung erzählte mir meine Bad Kissinger Homöopathin von einer Frau, die sich auch in einer Konstitutionsbehandlung befand und in ihrem Leben eine neue Aktivität begonnen hatte. Den Zusammenhang mit ihrer Behandlung und der Einnahme des Konstitutionsmittels aber wollte sie nicht sehen.

Ich ging nachmittags spazieren, und da fiel es mir - wie so oft mitten im Wald - wie Schuppen von den Augen: 
Das war keine Unfähigkeit zu erkennen, dass eine neue Aktivität, also Neuland zu betreten, und die Konstitutionsbehandlung nicht zufällig zusammenfielen. 
Das war eine womöglich bewusste Strategie der Seele, nicht dankbar sein zu müssen. 
Man wäre es ja nicht selbst gewesen, der auf das Neue gekommen wäre. Es wäre ja auf das homöopathische Mittel zurückzuführen gewesen, zumindest hätte es damit zusammengehangen.

Zusammenhänge nicht zu erkennen kann wirklich auch auf eine Unfähigkeit des Bewusstseins  zurückzuführen sein, ganz einfach dann, wenn die Seele noch nicht in der Lage ist zu erkennen, wie bei aller Individualität alles mit allem zusammenhängt.
Oft aber, so wurde mir schlagartig bewusst, liegt es einfach an der Weigerung, etwas Höheres anzuerkennen. Es liegt also an der Bereitschaft, sich dankbar einem Höheren zuwenden zu müssen.
Wie unbedarft kann man dann tun.
Ach, meinen Sie, das glaube ich eigentlich nicht, ich hätte das ohnehin gemacht ...

Durch meine christliche Erziehung ist mir heute bewusst, wie leicht es vielen Christen fällt, Großer Gott wir loben Dich zu singen, aber wie schwer es ist, ihn im Kleinen erkennen zu wollen, z.B. in einem Globuli.  
Großes lässt sich leicht herausposaunen, ist unverbindlich; als Einzelner kann man sich leicht verstecken.
Kleines aber verweist auf die persönliche Beteiligung. Da auf einmal werden viele dann seltsam stumm.

Das betrifft aber nicht nur das Göttliche:
Faust fällt es sogar schwer, das Böse als eine überlegene Macht anzuerkennen; die Folge aber davon ist, dass er Mephisto, der viel gerissener als er ist - wie das Böse leider sehr oft viel bewusster und gerissener ist als wir -, im Grunde fast hilflos ausgeliefert ist.

Wie viel schwerer aber fällt es uns Menschen, etwas, das wir Gott nennen oder Geist oder Christus als ein weltenschaffendes Bewusstsein anzuerkennen. 
Wir sperren es lieber aus. Dann brauchen wir schon nicht dankbar zu sein.
Diese Dankbarkeit fängt bei ganz kleinen Dingen an. Mir hat das auch ihre Offenheit dafür, Wunder in Ihrem Leben zu sehen, eine liebe frühere Kollegin gezeigt. Ihr kleines Buch über Wunder enthält oft ganz schlichte Wunder-Geschichten.

Der eigene Stolz, den wir doch gaaar nicht haben, muss Platz lassen für Dankbarkeit. Aber Ersterer ist eine ganz zähe Masse, die es doch ohnehin bei uns kaum gibt . . . Gott sei Dank, wie viele Christen dann noch zu sagen pflegen . . . Wenn sie nur sehen würden, wie breit Mephistopheles dann grinst.

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