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Sonntag, 24. Juli 2016

Duineser Meditationen: Ewigkeit spüren.

In seinen 10 Duineser Elegien, die er von 1912 an bis 1922 schrieb, umkreiste Rainer Maria Rilke (1875-1926) vor allem die Themen von Tod und Liebe, von Lebenssinn und dem Sinn des eigenen Seins, auch seines Seins als Dichter, und dem schrecklichen Engel, dem er in der ersten Elegie begegnet und jenen der 10. Elegie, die seinem Jubel und Ruhm zustimmen, Engel also, denen verbunden zu sein nur zeigt, wie dünn die Grenzlnie zwischen dem Reich der Neige, wie Rilke unser Leben hier auf der Erde in den Sonetten an Orpheus auch bezeichnet, und jenem anderen Reich ist, in das Rilke immer wieder hineinzulauschen vermag.

Der Name der Elegien leitet sich ab von Schloss Duino bei Triest, das einer Frau gehörte, der Gräfin Marie von Thurn und Taxis-Hohenlohe, die die letzten eineinhalb Jahrzehnte seines Lebens als Freundin, Gönnerin und Muttergestalt begleitete, die dem manchmal zu Überspannung und Selbstmitleid neigenden Dichter, den sie liebevoll und auch voller Wertschäftung D.S., also Dottore Serafico nannte, auch ordentlich den Kopf waschen konnte, so, als er sich einmal über eine seiner zahlreichen Verehrerinnen beschwerte, die ihm, der jenen durchaus sehr gerne Hand und Wort reichte, zu nahe treten wollte:

Und was brauchen Sie immerfort dumme Gänse retten zu wollen, die sich selbst retten sollen - oder der Teufel soll die Gänse holen (...) 
Es kommt mir so vor, D.S., daß der selige Don Juan ein Waisenknabe neben Ihnen war - und Sie tun sich immer solche Trauerweiden aussuchen, die aber gar nicht so traurig sind in Wirklichkeit, glauben Sie mir -
Sie, Sie selbst spiegeln sich in allen diesen Augen -

Das lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen, und Rilke bedurfte auch ab und an solch klarer Worte.

Jedenfalls hielt sich Rilke seit 1910 immer wieder auf dem Schloss der Gräfin auf, mal kürzer, mal länger, und dort begann er 1912 jene Zeilen zu schreiben, die uns bisweilen so dunkel, bisweilen so hell gegenübertreten und wohl sich aus Quellen speisen, die sicherlich zur Seele des Dichters gehören, aber gewiss gleichzeitig im großen Weltinnenraum des Lebens beheimatet sind, von dem Rilke an anderer Stelle schreibt. 

Rilke berichtet jedenfalls der Gräfin, dass er eines Tages einen lästigen Brief beantworten wollte und sich ins Freie begeben habe, wo die Bora, jener kalte und böige Wind der Triester Gegend blies. Gerade tauchte die Sonne das Meer in blaue und silberne Farben, als es ihm auf einmal so gewesen sei, als ob im Brausen des Sturms eine Stimme ihm zugerufen habe:
Wer, wenn ich schrie, hörte mich denn aus der Engel 
Ordnungen?
Mit diesen Worten aber beginnt die erste der Elegien und am Abend, so lässt Rilke die Gräfin wissen, sei sie geschrieben gewesen.

Man kann weder die Sonette an Orpheus, die Rilke gegen Ende der Duineser Elegien begann und fast zeitgleich beendete, noch die Duineser Elegien einfach so lesen. Wie Tropfen an einem Faden herunterrinnen können, so wollen die Worte dieser Dichtungen von unserer Seele aufgenommen sein, wenn wir denn ihr Einträufeln zulassen können.

Und manches Mal ist es gut, einzelne Abschnitte für sich zu lesen, so jenen - es ist der vierte der ersten Elegie - in welchem das lyrische Ich einen der jungen Toten, denen begegnet zu sein es im vorherigen Abschnitt erzählt, uns ein gewiss subjektives Empfinden über seine Situation als junger Toter weitergeben lässt. Das aber ist gerade deshalb so aufschlussreich, weil es HInweise geben mag, wie wir Dinge unseres Lebens auch sehen können, weil damit vielleicht mehr, als wir es ahnen, die Wahrheit über ihre Bedeutung zutage treten mag, wenn beispielsweise unser Name offensichtlich seine Bedeutung im Reich der sogenannten Toten verloren hat und einem zerbrochenen Spielzeug gleichkommt, man Wünsche nicht mehr weiterwünscht, Dinge und Wesen nicht mehr in Beziehung untereinander sind, die wir gewohnt waren, und wir vor allem nicht mehr so sehr unterscheiden sollten bzw. könnten (so wir das möglicherweise übend wollen) zwischen dem Reich des Lebens und des Todes, denn Engel, so lässt uns der junge Tote wissen,"wüßten oft nicht, ob sie unter / Lebenden gehn oder Toten". 
Aber, so lässt uns der junge Tote ebenfalls wissen: Totsein muss nicht selbstverständlich, kann mühsam sein und offensichtlich kann es dauern, bis man Ewigkeit spürt. 
Umso sinnvoller mag es sein, sich dieser Ewigkeitssicht zu nähern:

Freilich ist es seltsam, die Erde nicht mehr zu bewohnen,
kaum erlernte Gebräuche nicht mehr zu üben,
Rosen, und andern eigens versprechenden Dingen
nicht die Bedeutung menschlicher Zukunft zu geben;
das, was man war in unendlich ängstlichen Händen,
nicht mehr zu sein, und selbst den eigenen Namen
wegzulassen wie ein zerbrochenes Spielzeug.
Seltsam, die Wünsche nicht weiter zu wünschen. Seltsam,
alles, was sich bezog, so lose im Raum
flattern zu sehen. Und das Totsein ist mühsam
und voller Nachholn, daß man allmählich ein wenig
Ewigkeit spürt. - Aber Lebendige machen
alle den Fehler, daß sie zu stark unterscheiden.
Engel (sagt man) wüßten oft nicht, ob sie unter
Lebenden gehn oder Toten. Die ewige Strömung
reißt durch beide Bereiche alle Alter
immer mit sich und übertönt sie in beiden. 

Ewige Strömung reißt durch den Bereich unseres Lebens; sie kommt aus einem anderen Bereich, bewegt sich durch unsere Gegenwart und fließt weiter in jenen des Lebens nach dem Leben. Wir müssen diese Dreiteilung so nicht sehen, denn alles könnte ein großer Raum, Rilkes Weltinnenraum sein.
Eine veränderte Wahrnehmung unserer Wirklichkeit könnte uns jene Stäbe entfernen helfen, die uns zu einem Panther im Käfig unseres Seins haben werden lassen.

Sie, diese veränderte Wahrnehmung, könnte damit zum einen eine große Hilfe für uns sein, weil sie uns vorbereitet auf unser Leben nach dem Leben, damit unser Totsein, und den Übergang nicht mühsam sein lässt, und weil sie unser augenblickliches Sein zu erweitern vermag, wenn wir

Weltinnenraum spüren.

Ewigkeit.
 

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