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Donnerstag, 31. Juli 2014

Kultur beginnt im Kleinen! – Kürzen Sie auch Grüße ab?


VG - HG - lg - mfG - vielleicht kennen Sie noch mehr.
Ich hoffe nicht.

Tut mir leid, aber ich find´s schrecklich, diese Form des Abgangs.

Und wer so grüßt, darf jedenfalls nicht über den Verfall der Sitten jammern und den Niedergang der Kultur. Denn die zeigt sich - und ich meine damit auch unsere jeweilige innere Kultur - darin, dass man sich  gerade am Schluss noch Zeit nimmt für einen ehrlich gemeinten Gruß.

Mein Rat jedenfalls ist: Genießen Sie es mit größter Vorsicht, wenn jemand sie l grüßt, dass dieses lieb aufrichtig gemeint sei. Es könnte nämlich sein, dass Sie Ihrem Gegenüber in der Tat nicht mehr als einen Buchstaben lieb sind.
Oder falls Ihnen jemand Freundliches schreibt und Sie mfG grüßt, möchte ich Ihnen empfehlen, dieser Freundlichkeit auch nur einen Buchstaben weit über den Weg zu trauen, umgerechnet auf die Buchstabenzahl also maximal zu 10 Prozent. – Streichen Sie getrost 90 Prozent weg.

Irgendwann wird ein Brief an Frau Müller beginnen:

Sg Fr. M.,
ich habe mich aufrichtig über ihre Antwort gefreut . . .

Genau genommen Heuchelei pur - wenn es gut geht, geschieht sie unbewusst.

Eine Hand wie ein nasser Lappen

Vielleicht kennen Sie auch diese Telefongespräche, in denen man sich intensiv unterhält. Dann aber, am Schluss, bemerken Sie, dass der Gegenüber, Sie grüßend, schon auflegt, in Gedanken schon aufgelegt hat. Sie merken es am Volumen der Stimme. Der Abschied verhallt im Off. Manchmal ist man gar nicht so sicher, ob man für den Gegenüber nicht ab sofort auch im Off ist - oder vielleicht schon immer war.
Das ist, wie wenn Ihnen jemand die Hand gibt und die sich wie ein nasser Lappen anfühlt.
Lieber keine Hand als eine solche!

Sprache verrät mehr, als wir ahnen - fehlende Buchstaben auch!

Manchmal denkt man sich bei bestimmten Verhaltensweisen ja nicht so viel; auf diese Weise schleichen sich Unsitten ein, die - da sollte man sich keinen Illusionen hingeben - auf Dauer auch das Bewusstsein infiltrieren, die Kultur des Zusammenlebens beeinflussen.
Die Kultur des Grüßens jedenfalls ist in unserer Kultur - zu weiten Teilen - schon längst im Eimer
Zu lange schon sind das Miteinander und sein Wert systematisch reduziert worden.
Bleiben wir dabei - oder kehren wir dazu zurück:
zu einer ernst gemeinten, ernst zu nehmenden, wenn es denn gewünscht ist, herzlichen Form des Grüßens, einer überzeugend lieben, einer freundlichen, die -  und das ist das Entscheidende - jeden Buchstaben wert ist, jeden Buchstaben voll so gemeint sein will.

veröffentlicht auch auf FreieWelt.net

Samstag, 19. Juli 2014

Wie kommt der Johannes durch den Klinkmüller? - Unser Vorname enthält unser Wesen!


Es sind die familiären Muster, die uns binden, einengen; sie spiegeln sich im Familiennamen.

Darüber ging es
im letzten Post.




Erhard Meyer Galow, der sich bekanntlich auf Graf Dürckheim bezieht, veröffentlicht in seinem Buch Leben im Goldenen Wind obiges Bild mit der Aufforderung:
Schreiben Sie auf ein weiteres Blatt nochmals Ihren Nachnamen mit einem Bleistift und zeichnen Sie um diesen herum dick ein Rechteck.
Das Rechteck mit dem Familiennamen, so schreibt er, ist wie ein kleines Aquarium, das sich unser ICH im Laufe des Lebens gebaut hat.
Wir schwimmen als kleiner Fisch darin herum, stoßen ständig mit der Nase an die Wände und sind fest davon überzeugt, dass dieser kleine Raum unsere Welt ist. Wir haben das Wissen verloren, dass außerhalb des Aquariums unsere wesentliche, wunderbare, größere Welt liegt. Viele Menschen spüren die Enge des Ich-Raumes nicht. Sie spüren nur in Krisen eine Enge, wissen aber nicht, dass sie selbst diese Enge verursacht haben.
Eigentlich steht das kleine Aquarium im Meer, aber wir wissen es nicht, und wir haben es nie erfahren.

Die Glasscheiben des ICH-Aquariums gibt es gar nicht. Wir bilden sie uns ein.

Oder sagen wir so: In der Realität unseres ICHS gibt es sie sehr wohl und mir kommt spontan Hugo von Hofmannsthals Goldener Topf in den Sinn. In ihm gibt es eine Stelle, in der stehen Menschen in Glasbehältern - man versteht die Symbolik dort nicht so ohne Weiteres; auf dem Hintergund des oben Angesprochenen ist sie auf einmal klar.

Was ich noch anmerken möchte:

Die Symbolik des Meeres, die Meyer-Galow wohl von Williges Jäger hat - ganz klar wird das nicht -, finde ich klasse, wenn ich auch Meyer-Galows obiges Bild gerade auf dem Hintergrund dieser Symbolik nicht passend finde. Diese wunderbare, größere Welt ist nirgends angedeutet; das fehlt mir. Seine Erhards vermitteln den Eindruck, ganz auf das Aquarium fixiert zu sein. Auch von außen stoßen sie ständig gegen die Wände des Aquariums. – In diesem Bild gibt es keine Hoffnung, die doch immer da ist; das Meer ist da!


Ich hätte mir ehrlich gesagt ein richtig befreiendes Bild von ihm gewünscht. Entweder zum Abschluss des Kapitels, im Rahmen dessen diese Thematik behandelt wird, oder zum Abschluss des Buches. - Und es hätte ruhig bunt sein dürfen, auch wenn das den Gewinn aus dem Buch geschmälert hätte.

Das Meer als Urelement unserer Möglichkeiten findet sich auf überzeugende Weise in Goethes Faust in
Margaretes Thule-Lied dargestellt. Dort ist es die Liebe, die die Fesseln des Aquariums sprengt. Die Liebe löst die Wände auf, schwemmt den Familiennamen ins offene Meer. Dort verliert er seine dominante Kraft und unser Wesen kann seinen Platz einnehmen.

Die Liebe zu einem Anderen, aber auch zu uns kann und wird uns entgrenzen.

In der Tat ist das unsere Lebensaufgabe wie es Karlfried Graf Dürckheim (siehe vorausgehender Post) formuliert hat.

Und womöglich geht diese Entgrenzung über die Grenzen des Meeres hinaus. Wir wissen es nicht.

Möglich ist es schon. Auf meinem Bild habe ich es angedeutet:





Wichtig finde ich, dass wir unseren Familiennamen nicht verteufeln; deshalb findet er sich auch in meinem Bild, in dessen Zentrum mein Wesen in der Wort-Gestalt meines Vornamens steht; aber der Familienname ist auch immer wieder zugegen. Wir sollten, finde ich, uns dessen bewusst sein, dass er immer zugegen sein wird; er ist nicht die Ursache des Übels, falls wir uns eingegrenzt und ins Aquarium begeben hatten; die Ursache ist unsere kindliche Sozialisation und das, was wir an seelischen Dispositionen aus früheren Leben mitgebracht haben, was unser Bewusstsein geprägt und dieses Aquarium gebaut hat. Eltern und Lehrer und andere haben daran mitgewirkt - in der Regel ohne böse Absicht.

Wie schreibt Günter Kunert in seiner Ballade Wie ich ein Fisch wurde:
Denn aufs Neue wieder Mensch zu werden,
Wenn man´s lange Zeit nicht mehr gewesen ist,
Das ist schwer für unsereins auf Erden,
Weil das Menschsein sich so leicht vergisst.
Unser wahrer Familienname ist Mensch.

Mensch ist ein Adelstitel.

Wie kommt der Karlfried durch den Dürckheim? - Über die Bedeutung von Vornamen und Familiennamen.


Endlich mal wieder Zeit für einen Post. In über 30 Jahren meines Lehrerdaseins habe ich es nicht geschafft, die letzten Arbeiten so zu legen, dass ich nicht fast jedes Jahr zum Ende hin in absoluten Stress komme, noch dazu, wenn alle Zeugnis-Noten ausgerechnet und entschieden sein müssen.

Es ist einfach beim Korrigieren unheimlich anstrengend, die Gedanken von Menschen nachzuvollziehen, vor allem, wenn sie manchmal etwas verworren sind und man gern Hinweise geben möchte, wie das zu vermeiden ist. Und dann die Noten . . .

Für Jugendliche, die gute erhalten, kein Problem. Wer aber gibt gern Noten, wenn sie nicht gut sind? – Ich vermute, vor dem habe ich mich immer jedes Jahr möglichst lange gedrückt, jedenfalls vor der letzten Serie der Arbeiten.

Wer weiß, vielleicht hängt das alles bei mir mit dem folgenden Thema zusammen:

In Meyer-Galows Buch Leben im Goldenen Wind, das ich nicht generell empfehlen möchte, weil es für mich doch einige Schwächen aufweist, es aber auf der anderen Seite zwei wertvolle Kostbarkeiten enthält und viele oft sehr ausführlich zitierte Buchpassagen, die dem ein oder anderen auch durchaus Anregungen sein könnten auf seinem Weg, den Goldenen Wind in sein Leben zu integrieren, findet sich jedenfalls eine Kostbarkeit, die ich außerordentlich wichtig finde - die zweite im Übrigen ist das zweiseitige Kapitel über den Goldenen Wind und dessen Symbolik.

Die erste Perle bezieht sich auf die Bedeutung des Vornamens und die Rolle des Nachnamens in unserem Leben. Meyer-Galow verweist auf Karlfried Graf Dürckheim, den 1988 in Todtmoos verstorbenen Diplomaten, Psychotherapeuten, Zen-Lehrer und weltweit gelesenen Buchautor, der immer sehr gerne gesagt habe:

Die wichtigste Aufgabe in meinem ganzen Leben war immer wieder die Frage: Wie kommt der Karlfried durch den Dürckheim?
Der Weise aus Todtmoos, der sein therapeutisches Zentrum im Schwarzwald gründete, wies darauf hin, dass der Vorname unser Wesen symbolisiere. Gemeint ist der Vorname, wie er im Stammbuch eingetragen ist, auf keinen Fall eine abgekürzte Version, womöglich eine indisch-esoterische Variante oder sonst etwas, was man gern sein oder wie man sich gern inszenieren möchte.

Der Nachname steht nach Meyer-Galow für das, was wir in der Welt erreicht haben, er bezeichnet ihn als "ICH in der Welt".

Schiller, für den das Thema der Unterscheidung von Sein und Schein ein zentrales Thema z. B. in seiner Maria Stuart war, würde ihn dem Schein zuordnen. Er beinhaltet unsere Rollen, die wir beruflich spielen, die Funktionen, die wir innehaben, was wir an Verpflichtungen übernommen haben, was eben alles der Nachname so generationenübergreifend beinhaltet und weitergibt: die Familie. Ein schwerer Packen!

Nicht, dass dieser Nach-Name grundsätzlich von unserem wahren Wesen getrennt sein muss - oft aber ist er es.

Nach Meyer-Galow sieht unsere persönliche Ausgangssituation in der Regel so aus:





Es heißt bei ihm:
Der dicke Strich unter Ihrem Namen ist Ihr ganzes Dilemma. Mit dem Strich trennen Sie Ihren Vornamen von Ihrem Nachnamen ab. Als Kind wurden Sie nur mit Ihrem Vornamen angesprochen. Sobald Sie erwachsen sind, spricht man Sie in der Regel nur mit Ihrem Nachnamen an. Der Nachname steht also gewissermaßen für das, was Sie in der Welt erreicht haben. Es symbolisiert Ihr ICH in der Welt. (...) Sie haben es gar nicht gemerkt, dass ihr ICH durch eine dicke Mauer zunehmend vom Wesen getrennt wurde (...) Es geht für Sie und für alle anderen Leserinnen und Leser um ENTGRENZUNG Ihres ICH.
Auf was Meyer-Galow nicht aufmerksam macht, ist, warum der Nachname, den er besser auch als Familienname bezeichnen würde, all die Normierungen enthält, die das ICH so stark machen und das Wesen reduzieren, minimieren: weil dieser Name für all die familiären Normierungen und Gesetzlichkeiten steht, die eine Familie mit sich bringt. Als Namensgeber gibt der Vater sein Bewusstsein weiter und, wenn er es nicht reflektiert hat, das Bewusstsein seiner ganzen Familie und all der Väter, die hinter ihm stehen.

Jede Familie hat ihre Gesetzlichkeiten, mittels deren festgelegt ist, wie gelobt wird, wie bestraft wird, wie Liebe praktiziert wird, wie über andere gesprochen wird, wie man dem Leben gegenüber tritt, ob offen und vertrauend oder vorsichtig, ja skeptisch. Und da in Mann und Frau, in Vater und Mutter zwei Familienkreise aufeinandertreffen, können sich Gesetzlichkeiten widersprechen oder - z. B. für die Kinder - sehr widersprüchlich sein. - So empfinden Kinder dann das Leben, empfinden dann, oft unbewusst, eine Unvereinbarkeit des Männlichen mit dem Weiblichen oder eine große Harmonie, ein wertvolles Sich-Ergänzen, ein Gemeinsam-stark-Sein.

Im Rahmen dieser familiären Gesetzlichkeiten ist also beileibe nicht alles schlecht, keineswegs, da kann z.B. ein überzeugendes Wertebewusstsein verankert sein, die Bereitschaft, in die Welt zu gehen und zu wirken.

Allerdings, in diesen althergebrachten Namen stecken auch die ganzen überholten Familienmuster drin, die uns unentrinnbar normieren, wenn wir ihnen nicht ihre Macht nehmen.

Und diese Muster sind mächtig, ja oft letztendlich todbringend, todbringend für unser Wesen.

Man sieht und spürt es Menschen oft an, wie wenig in ihnen wirklich lebt, wie viel in ihnen abgestorben ist. Erschütternde Beispiele der Macht von Familien finden wir immer wieder, man denke nur an Franz Kafkas Brief an seinen Vater, ein einziger Aufschrei nach Leben. – Nie abgesandt!

Familienstrukturen können Kindern die Luft zum Atmen nehmen. Nicht von ungefähr war Franz Kafkas Lunge so krank, musste er doch recht früh sterben.

Nicht in allen Familien sind, wie gesagt, diese Muster gleichermaßen stark. Meine Familie hatte jede Menge starker Muster!

Das alles kann dann dazu führen, dass die - überholten - gesellschaftlichen Muster so stark wirken können. Oft zementieren sie ja familiäre Muster endgültig.

Manchen lässt die Familie große Freiheiten. Solche Menschen gibt es auch; bisweilen haben sie es nicht leicht; sie werden sehr beneidet. In ihnen spiegelt sich ja eine Freiheit, die die meisten nicht haben.

Fortsetzung
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