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Samstag, 26. Januar 2013

Nur Liebe, überflutende Liebe. – Marie Luise Kaschnitz über "Ein Leben nach dem Tode"


In den letzten Posts ging es immer wieder um das Leben nach dem Tod, wie es Menschen vermitteln, die Nahtod-Erfahrungen machten.

Da ist so deutlich geworden, dass der Tod kein Negativ-Einschnitt sein muss bzw. ist, sondern ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit vermittelt werden kann und wird durch Wesen, die die Sterbenden über diese große Schwelle begleiten, als die wir den Tod noch sehen.

Marie Luise Kaschnitz, eine Autorin, deren Gedichte mich immer wieder aufs neue beeindrucken, hat sich mit dem Tod intensiv beschäftigt, bedingt auch durch das Sterben ihres Mannes, der einen Lehrstuhl für Archäologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität innehatte und 1958 verstarb.


In ihrem Gedicht Ein Leben nach dem Tode beantwortet sie die Frage nach unserem Leben nach dem Leben auf eine Weise, die vermuten lassen könnte, sie hätte all diese Dokumente und Bücher gelesen, aus denen ich zitiert habe.
Aber, ehrlich gesagt, muss man sie nicht studiert haben, um zu glauben, dass es dieses Leben nach dem Leben gibt.
Nur mit welchen Worten sie ihm Ausdruck verleiht, das finde ich bewundernswert. Es ist, als ob die Autorin gleich zu Beginn in einen Dialog mit ihrem Leser eintritt, vermittelt dadurch, dass sie um eine Antwort gebeten wird.

Mit ihren Worten macht sie deutlich, dass ihrer Ansicht nach die gängigen Klischees womöglich nicht stimmen, diese Abgrenzung gegenüber verdammten Seelen zum Beispiel.

"Nur Liebe / (...) mich überflutend" – das finde ich die ergreifendsten Worte dieses Gedichtes.

In ihm, meines Wissens 1972 geschrieben, schildert sie ihr Gefühl, wie es ist, wieder ihrem Mann zu begegnen.
Welche Liebe muss sie für ihn empfinden!

Sie weiß:
Ihr Mann empfängt sie und sie wird wieder seine Hand in der ihren spüren. Es wird dann sein, wie es einmal war, und aller Schmerz, den die Zeit wob, wird vorbei sein.


Glauben Sie fragte man mich

An ein Leben nach dem Tode

Und ich antwortete: ja

Aber dann wusste ich

Keine Auskunft zu geben

Wie das aussehen sollte

Wie ich selber

Aussehen sollte

Dort


Ich wusste nur eines

Keine Hierarchie

Von Heiligen auf goldnen Stühlen sitzend

Kein Niedersturz

Verdammter Seelen

Nur


Nur Liebe frei gewordne

Niemals aufgezehrte

Mich überflutend


Kein Schutzmantel starr aus Gold

Mit Edelsteinen besetzt

Ein spinnwebenleichtes Gewand

Ein Hauch

Mir um die Schultern

Liebkosung schöne Bewegung

Wie einst von tyrrhenischen Wellen

Wie von Worten die hin und her

Wortfetzen

Komm du komm


Schmerzweb mit Tränen benetzt

Berg- und Tal-Fahrt

Und deine Hand

Wieder in meiner


So lagen wir lasest du vor

Schlief ich ein

Wachte auf

Schlief ein


Wache auf

Deine Stimme empfängt mich

Entlässt mich und immer

So fort


Mehr also, fragen die Frager

Erwarten Sie nicht nach dem Tode?

Und ich antworte

Weniger nicht

Die zu Beginn fotografierte Holzplastik Menschengruppe  
ist das Werk einer jungen Künstlerin, Christiane Weiel. 
Sie bezieht sich auf Franz von Assisis Worte zum Bruder Tod in
seinem Sonnengesang; zu finden auf dem Franziskus-Weg in der Rhön.

zu Marie Luise Kaschnitz´ >Auferstehung<




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