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Donnerstag, 5. April 2012

Als mir der Tiger begegnete ... doof, dass er sterben musste ... das war nicht nötig, Honorio!

Er kam auf mich zu ... und er kam vom Fluss her, ich weiß nicht, ob aus dem Fluss. Tiger können ja durchaus auch schwimmen (meistens tun sie es wohl nicht sonderlich gern). 
Jedenfalls: Meiner kam aus der Richtung des Flusses und ich hatte keine Zeit, Angst zu haben. Ich hatte auch irgendwie keine Angst, als er sich auf mich zubewegte. Er war auch keine Gefahr für mich, keine Bedrohung. Irgendwie standen wir uns relativ neutral gegenüber. Er registrierte, dass es mich gibt.
So war es, als ich aufwachte.
Ich war nicht schweißgebadet, und wie üblich quälte ich mich aus dem Bett, um mich in die Küche zu bewegen. Dort lag mein Diktiergerät, auf das ich damals alle Träume sprach, die mir - wie der Tiger - des Nachts begegneten.
Es war jene Zeit, ungefähr vier Wochen lang, als ich alle Träume aufschrieb. Und weil das nachts nicht ging, schon gar nicht im Bett, hatte ich es mir angewöhnt aufzustehen, in die Küche zu wanken, das Gerät einzuschalten und in das Mikro zu krächzen. Manchmal war es leider so, dass sich beim Sprechen ein Traum entrollte, nach hinten entrollte, wie so ein Kinderspielzeug, das man aufbläst und das sich nach hinten weg-entrollt ... Ich erinnere mich noch an einen, der gar nicht aufhören wollte ... das war auch jener Traum, bei dem ich zum ersten Mal feststellte, dass ich zwei Träume auf einmal träumte - an einer Stelle querte ein anderer Traum den, den ich gerade aufsprach ... kein Witz ... es war so ...
Und es war wirklich so: Wenn ich die Träume tagsüber nicht abhörte und zu Papier brachte, dann wachte ich auch nachts nicht mit einem Traum auf, auch morgens nicht. So war es, als ich in Stuttgart von einem Polizisten erschossen wurde. Den Traum mochte ich absolut nicht. So schrieb ich ihn nicht auf. Prompt träumte ich nicht mehr. Das heißt: Ich träumte sehr wohl, aber sie klopften nicht mehr in meinem Bewusstsein an, die Träume. Erst als ich diesem blöden Polizisten Platz auf dem Papier machte, ging es weiter.

Zurück zum Tiger.

Zu dem fiel mir gar nichts ein. Keine Überschrift und keine Ahnung, was er bedeuten könnte.
Wie üblich machte ich es so, ich deponierte den Tiger in meinem inneren Verschlag, auf dem "Unerledigtes" steht.
So mache ich es mit Dingen, Wesen, Vorkommnissen, mit denen ich nichts anzufangen weiß. Bis mir wieder mal der oder ein Tiger über den Weg läuft.
Das war der Fall, als ich auf den Tiger Shivas traf. Beziehungsweise auf dessen Fell. Also nicht das Shivas, sondern des Tigers. – Shiva, indischer Gott des Erweckens und Zerstörens, tötete leider jenen Tiger, den ihm die Weisen der Urzeit schickten, weil ihre Frauen alle auf Shiva abfuhren, um jenen, eben Shiva, zu töten. Schon damals waren Weise also eifersüchtig. Und ein Tiger sollte Abhilfe schaffen.
Aber Shiva tötete den Tiger. Kein schöner Zug. (Okay, es soll auch ein echter Ungeheuer-Tiger gewesen sein ..)
Jedenfalls saß er fortan auf dessen Fell.
Prompt kam mir mein Tiger in den Sinn. Ob der mit MEINEN Leidenschaften zu tun hat?
Der Tiger hatte ja mit den lüsternen Leidenschaften der Gattinnen zu tun und auch mit denen der Weisen, denen ihre Frauen zu lüstern waren ... Jedenfalls waren sie eifersüchtig ... was bekanntlich auch Leiden schafft ...
Mein Tiger wollte ja nicht gerade viel von mir ...
Ob ich meine Leidenschaften gar nicht zur Kenntnis nehme - oder damals nahm?
Ich meine, Fluss hat mit Wasser zu tun (mein Tiger kam vom Fluss her), und der Wasserbereich im menschlichen Körper (also von den Hüften bis zum Solar plexus) ist der Bereich der Gefühle.
Hatte mein Traum-Tiger mit meinen Gefühlen zu tun, die sind ja möglicherweise von Leidenschaften nicht so weit weg ... Jedenfalls kam mir das damals in den Sinn und ich hatte das Gefühl, das könnte mein Tiger bedeuten, meine Gefühle, meine Leidenschaften ... noch hatten wir uns womöglich nicht so viel zu sagen ... ???

Und nun läuft mir wieder ein Tiger über den Weg. Was weiß ich, warum. Aber ich habe so eine Lust, so einen Drang, Goethes Novelle nochmal zu lesen und über sie zu schreiben. Mancher dürfte schon bei deren ersten Sätzen einschlafen. Märchen sind Abenteueromane, verglichen mit der Goetheschen Novelle.

Ja, sie heißt auch nur Novelle. Mehr nicht. Im Goetheschen Sinne heißt das, sie enthält eine unerhörte Begebenheit.
Das stimmt:
Ein Tiger stirbt (warum muss auch Honorio so eine Pistole dabei haben ...)
Ein Löwe ist akut lebensgefährdet.
Nicht, weil der Zirkus brannte, sondern ... na ja, das ist eigentlich langweilig.
Für mich allerdings nicht.
Ich muss über den Tiger nachdenken.
Doof, dass er sterben musste.
Honorio hat ihn erschossen.
Er wollte der Fürstin imponieren.
Sonst hätte er eine Antenne dafür gehabt, dass der Tiger ihm nichts tut.
Und seiner (verheirateten) Fürstin auch nicht.
Es war nicht nötig, Honorio.
Wie gesagt, ich muss über den Tiger nachdenken ... ich melde mich wieder ...
mehr zu Goethes Novelle: hier

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