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Sonntag, 20. Februar 2011

Beppo Straßenkehrer, die Straße des Lebens oder: Wie man mit Freude lernt.

Momo hat bekanntlich zwei allerbeste Freunde, einen jungen und einen alten; der alte ist Beppo Straßenkehrer und er hat zwei besondere Eigenschaften, die, wenn die Menschen sie übernähmen, die Welt verändern könnten.
Das eine ist sein Umgang mit Fragen.
Es gibt Fragen, auf die zu antworten er nicht für nötig findet. Dann schweigt er.
Das muss man erst einmal können, Fragen nicht für nötig zu halten! So einfach, wie es scheint, ist das nicht, vor allem dann mit Beppos Reaktion!
Vielen unserer Medienvertreter und vielen unserer Politiker wünschten wir das, die Fähigkeit, Fragen, die nicht wirklich nötig sind, auch nicht nötig zu finden und sie dann einfach nicht  zu stellen. Und wenn Politiker dann noch auf Fragen, die nicht wirklich nötig sind, nicht antworteten - meine Güte ... zu schön, um wahr zu sein.
Klar stellt sich da schon wieder eine Frage, nämlich: Woher weiß ich, dass Fragen nicht nötig sind?
Beppos Verhalten könnte hilfreich sein: Wenn er eine Antwort nicht wusste, schwieg er. Wenn er also nicht wusste, ob eine Frage wichtig war, dann schwieg er auch!

Ich schreibe im Präsens, denn die Geschichte spielt noch. Beppo Straßenkehrer, das sind auch wir, wenn wir uns so verhalten wie er. 

Wie könnte das unsere Wirklichkeit verändern, wenn das viele Gesabbere unserer Politiker, wenn sie reden, aber nicht wirklich Antworten wissen, sich nicht ständig ausbreiten würde wie ein zäher Brei, der über die Medien in unsere Wirklichkeit fließt und uns zukleistert.

Übrigens gilt das für unser inneres Gesabbere auch; das äußere ist ja nur ein Spiegel unseres inneren.

Beppos Verhalten könnte auch unsere Schulwirklichkeit verändern, denn es gibt eine Antwort auf die Frage, warum manche Schüler schweigen: Sie finden eine Antwort nicht nötig  :-))
Und was viele Lehrer nicht wissen: Viele Schüler geben die Antwort erst Stunden später, wenn die Schule vorbei ist. 
Beppo Straßenkehrer machte das so. Wenn er eine Antwort nicht wusste, gab er sie zwei Stunden später, mitunter auch einen Tag später.
Das erklärt übrigens endlich, warum z.B. ein Schüler auf die Frage seines Erdkunde-Lehrers, wo der Ganges fließt, Subjekt als Antwort gibt. Lange hatte er nämlich über die Frage seines Deutschlehrers nachgedacht und einen Tag später die Antwort gegeben. War es sein Fehler, dass gerade Erdkunde-Unterricht war :-))
Für Beppo Straßenkehrer jedenfalls stand fest, dass alles Unglück der Welt von den vielen Lügen, den absichtlichen, aber auch den unabsichtlichen kommt, die nur aus Eile oder Ungenauigkeit entstehen.

Unser Schulsystem aber hat - ehrlich und nun wieder ernsthaft gesagt - doch zunehmend ein Ziel: Eile ohne Weile.
Warum sonst wird das neunjährige auf das achtjährige Gymnasium verkürzt, warum wird die Schule mit immer mehr Anforderungen überfrachtet? Nach Expertenansichten verdoppelt sich das Wissen auf der Erde alle acht bis 10 Jahre, manche sagen sogar: alle 5 Jahre. Da kann man sich vorstellen, was Schüler und Lehrer zu leisten haben. 
Dass Schüler gegenüber früher den Umgang mit Computern  und entsprechenden Programmen in der Schule lernen, dass sie viel intensiver als früher Arbeitstechniken lernen, dass es dafür auch extra Methodentage gibt, dass sie auch Sozialpraktika machen und berufsvorbereitende Maßnahmen verstärkt Einzug in die Schule halten, sei es, dass sie - wie an meiner Schule - eine Woche ein Betriebspraktikum machen oder an einer freiwilligen Vorbereitung auf Bewerbungsgespräche teilnehmen können, verpflichtend an zwei Tagen Universitäten des Landes besuchen oder eine Zeitung, Porsche oder Mercedes, dass sie vor allem auch Präsentieren lernen und dabei gleichzeitig lernen müssen, dass die äußere Form den Lehrplangestaltern mittlerweile wichtiger ist als der Inhalt, ob also das, was sie präsentieren hohl ist, zunehmend zweit- oder drittrangig wird, das sind nur einige von vielen neuen Anforderungen, die in den letzten Jahren an die Schulen herangetragen worden sind - und diese Tendenz nimmt zu. 
Mittlerweile hat ja bei uns auch jeder Schüler sein Portfolio! Wow! Von Gewaltprävention und Aufklärung über die Gefahren des Internet und weiteren Dingen wie gesunder Ernährung - wie viel übergewichtige Schüler haben wir nicht ... - ganz zu schweigen; logisch, auch dafür gibt es Curricula. Und klar kommt der Polizist zur Drogenprävention in die Klassen. – Gelernt wird auch noch. Manche singen noch im Chor der Schule, spielen in der Theater-AG, geben lernschwachen Schülern nachmittags Nachhilfe, spielen im Orchester, machen eine Ausbildung zum Streitschlichter und führen das Gelernte in Streitfällen auch durch, sind Schulsanitäter oder auch Klassensprecher und treffen sich regelmäßig im Rahmen der SMV oder gehen auf eine Freizeit zur Vorbereitung des Schuljahres. Ja, manche arbeiten in der Bibliotheksverwaltung mit, sitzen in Schulgremien und - man höre und staune: Manche spielen in ihrer Freizeit noch ein oder zwei Instrumente, gehen in ein oder zwei Sportvereine, engagieren sich in der Freiwilligen Feuerwehr, im CVJM und wo noch auch immer ...
Das Gute ist, dass nichts anderes aus dem Lehrplan dafür herausgenommen wird. So kommt niemand mehr zur Besinnung!
Und davon abgesehen sind ja Lehrer nun nicht mehr nur mit dem Unterricht beschäftigt und dem Vorbereiten und Begleiten oben angeführter schulischer Aktivitäten, sondern mit dem Evaluieren ihrer Schule, und zwar dem Fremd-Evaluieren und dem Selbst-Evaluieren. Das ist neuerdings - zumindest in Baden-Württemberg - der große Renner, ohne den die Pädagogik zugrunde gehen würde: Evaluieren! Wie das auch klingt. Das hat was! Das macht die Wirtschaft auch! Jeder gute Betrieb, der etwas auf sich hält, evaluiert sich ab und an!
Dass Lehrern, die sich tunlichst mit der Beurteilung von Stärken und Schwächen ihrer Schule und des Unterrichtens zu beschäftigen haben, weniger Zeit für die Vorbereitung des Unterrichts bleibt (also dem, was sie eigentlich ursprünglich mal tun sollten): diese Frage gehört nunmal nicht zu den notwendigen. 
Selbstverständlich sollen Lehrer zunehmend diffenzierend unterrichten, also in jeder Klasse für die Schwächeren und Stärkeren eigene Arbeitsblätter oder Aufgaben erstellen, diese dann korrigieren und/oder besprechen. 
Und in Baden-Württemberg werden die Lehrer noch mittels zahlreicher Fortbildungen umgestellt von Lernzielorientierung auf Kompetenz-Orientierung, nachdem sie zuvor in ihren Fächern an ihrer Schule - jede Schule erstellt sie für sich (!), wie ökonomisch (!) - Bildungspläne erstellt haben. 
Gott sei Dank hat man noch in den dafür zuständigen Stellen rechtzeitig diese Gefahr erkannt: dass mit der antiquierten Orientierung auf Lernziele die Lern-Welt zugrunde gehen würde; nur Kompetenzen können sie retten! Nun hocken sich Lehrer den Hintern breit in Fortbildungen, von denen die Fortbildner selbst offen zugeben, dass sie deren Sinn nicht ganz sehen. Und zu Hause warten die Klassenarbeiten und Haushefte, die zu überprüfen sind. Spricht noch jemand von Unterrichten?
Dass es sinnvoller gewesen wäre, Fortbildungen über Kompetenzen zu machen, bevor die Bildungspläne erstellt werden - ach, so ein kleines Fehlerlein des Kultusministeriums, was macht das schon ... Über sowas spricht man nicht ... Bildungsrealität 2011.

Wir lehren die Kinder immer, Fragen  zu stellen. Das ist sicherlich richtig. Aber vielleicht sollten Erwachsene nicht immer, vor allem zur Ablenkung, wie Kinder Fragen stellen und sich damit dumm stellen, sondern es halten wie Beppo Straßenkehrer. Im Grunde war er ein Zen-Buddhist: seine Arbeit war seine Art zu meditieren. In Momo heißt es:

"Wenn er so die Straßen kehrte, tat er es langsam, aber stetig", denn: "Er tat seine Arbeit gern und gründlich."

Das allerdings geht nun gar nicht mehr. Da merkt man, wie Michael Ende doch ziemlich hinter dem Mond lebte.
Gern die Arbeit tun? – Diese Frage ist absolut nicht mehr zeitgemäß.
Gründlich? – Das kann man nur beantworten, wenn man sich von Lernzielorientierung hin zu Kompetenzorientierung weiterentwickelt hat.
Wenn man das getan hat, stellt sich manche Frage erfreulicherweise gar nicht mehr, denn man hat die Lust an allem verloren.
So kann man auch didaktische und pädagogische Probleme lösen.
Und menschliche dazu. 
Die z.B., auf welche Weise wir wirklich sinn-voll leben und lernen können.

Beppo Straßenkehrer hatte eine Antwort, die nicht mehr in unsere Zeit passt, weil sie voraussetzt, dass man Zeit hat, und Zeit zu haben: Das genau passt nicht mehr in unsere Zeit!

"Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten ... Dann macht es Freude, das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut."

Es ist schon wahr: Es ist wichtig, um das große Ganze zu wissen. Aber man darf das Wissen um das große Ganze nicht verwechseln mit der groß(kotzig)en Geste, die in unserer Gesellschaft mittlerweile viele drauf haben - ja, zunehmend lernen sie auch Jugendliche, man muss nur einige Vertreter der politischen Jugendorganisationen reden hören oder manche Schulsprecher an seinem inneren Auge vorbeiziehen lassen.
Das große Ganze im Blick haben zu können setzt voraus, dass man die Details kennt, damit man weiß, was man verbindet.
Deshalb ist der Beppo Straßenkehrer in uns wichtig. Meter für Meter kennt er seine Straße.
Und, wie gesagt, er gehört nicht zu denen, die gleich großkotzen müssen; viele tun das in unserer Gesellschaft ja auch ungefragt ...

Freude? Wie war das mit Beppos Freude? – Steht sie im Lehrplan? Ist das eine Kompetenz?
Mit Freude lernen?
Womöglich ein Leben lang?
Seltsam, dass Menschen auf manche Fragen schon immer schweigen.
Und unter den vielen ach so notwendigen Fragen werden die, die wirklich gestellt werden sollten, gar nicht mehr vermisst.

Lasst genau die uns wieder stellen!

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

"Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten ... Dann macht es Freude, das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut."

..oder einfach nur im hier und jetzt zu leben und nicht im Morgen, Übermorgen oder wann auch immer. Eine sehr schöne Metapher.

Gruß Andre