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Freitag, 6. November 2009

Wie Tränen heilen: Rapunzel, ein Märchen über wahre Liebe!

Der erste Satz im Märchen der Gebrüder Grimm gilt dem übergroßen Kinderwunsch eines Paares und dass die Frau sich endlich berechtigt Hoffnungen macht. Als Nächstes aber stehen ihre Gelüste im Vordergrund, die Gelüste nach den Rapunzeln in der Nachbarin Garten, ausgerechet einer Hexe.

Natürlich schleicht sich ihr Mann dorthin, nachdem seine Frau vom Fleisch fällt vor lauter Rapunzelgier; immerhin ist sie schwanger.

Als jener dort von dieser Hexe gestellt wird, hat er ordentlich die Hosen voll und verspricht bereitwillig sofort sein Kind. Klar, die Hexe holt es gleich nach der Geburt und wie nennt sie es natürlich: Rapunzel. Logisch, denen verdankt sie es ja auch.

Logisch auch, dass das Mädchen Rapunzel in den Turm kommt, immerhin geht es ihm damit nicht ganz so schlecht wie Dornröschen oder Schneewittchen, aber auch nicht viel besser. Selber schuld, könnte man in der Folge sagen, was muss es auch der Hexe von dem Königssohn erzählen, der sich an ihren schönen langen Haaren seit einiger Zeit zu ihr hochseilt.

Als jener wieder kommt, und jenen so bekannten Zweizeiler ruft:



Rapunzel, Rapunzel,
lass Dein Haar herunter

seilt er sich nichtsahnend in die Arme der bösen Hexe und klar, dass er voller Verwzeiflung aus dem Fenster des hohen Turmes springt, nachdem die ihm flüstert:

"Du willst die Frau Liebste holen, aber der schöne Vogel sitzt nicht mehr im Nest und singt nicht mehr, die Katze hat ihn geholt und wird dir auch noch die Augen auskratzen. Für dich ist Rapunzel verloren, du wirst sie nie wieder erblicken.
Und nun weiß das Märchen der Gebrüder Grimm weiter:
Aber die Dornen, in die er fiel, zerstachen ihm die Augen. Da irrte er blind im Walde umher, aß nichts als Wurzeln und Beeren, und tat nichts als jammern und weinen über den Verlust seiner liebsten Frau. So wanderte er einige Jahre im Elend umher und geriet endlich in die Wüstenei, wo Rapunzel mit den Zwillingen, die sie geboren hatte, einem Knaben und Mädchen, kümmerlich lebte. Er vernahm eine Stimme, und sie deuchte ihn so bekannt: da ging er darauf zu, und wie er herankam, erkannte ihn Rapunzel und fiel ihm um den Hals und weinte. Zwei von ihren Tränen aber benetzten seine Augen, da wurden sie wieder klar, und er konnte damit sehen wie sonst. Er führte sie in sein Reich, wo er mit Freude empfangen ward, und sie lebten noch lange glücklich und vergnügt.
Berührt Dich das auch so, liebe Leserin, lieber Leser, dass der Königssohn nicht jammert, weil er blind ist, nicht um seine Augen jammert!

Er weint um den Verlust von Rapunzel.

Andere würden vor Selbstmitleid zerfließen, würden sich pflegen und verhätscheln lassen.

Sicherlich war der Königssohn rechsschutz- und unfallversichert. Aber statt mit der Hexe in einen juristischen Clinch zu gehen und von seiner Rente zu leben, tut der Königssohn nichts anderes, als sich sofort auf die Suche zu machen.

Alles andere ist ihm unwichtig. Das ist sein ganzer Schmerz: dass ihm sein Rapunzel fehlt.

Er hat nur Augen für Rapunzel, seine inneren Augen sind nur auf sie gerichtet.

Für mich ist das so ergreifend, solch ein Zeichen wahrer Liebe!

Es ist, als ob seine Seele wüsste, dass er ohne seine Rapunzel ohnehin nicht sehend ist. Eines allein kann ihn glücklich machen: Eine.

Nur hörend kann er sie finden. Wirklich hört er mit dem Herzen gut. Wer weiß, vielleicht hat Saint Exupéry dieses Märchen gekannt.

Rapunzel weint, als sich beide umarmen. Sie weiß um das Leid ihres Geliebten. Ihr Herz ist ein einziges Mitfühlen. Und dieses, ihr Herzfühlen heilt.

Es kann heilen, weil ihres Geliebten Augen offen sind für ihre Herztränen.

So kann Heilung von außen geschehen, weil sie so tief von innen kommt.

PS Aus Gründen der Selbstliebe aber nimmt der Königssohn sich noch einen sehr guten Rechtsanwalt und macht der Hexe den Prozess. Denn die Hexe, die hier eine wirkliche Teufelsbraut ist, muss dahin, wo sie hingehört! Vor allem, wenn sie ein Teil seines Inneren ist, was allerdings nicht zwangsläufig sein muss. Denn für das sogenannte Böse ist wahre Liebe immer eine Herausforderung, wo immer sie auftritt. Deshalb bedarf die Liebe ihrer Kämpfer. Und sie bedarf ihrer viel!

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